1 Februar 2016

Das seit Januar 2015 geltende Mindestlohngesetz hat im letzten Jahr bei vielen Zuverdienstprojekten Änderungen in der Gestaltung der Verträge mit den Zuverdienstbeschäftigten notwendig gemacht. Inbesondere Projekte, in denen „geringfügige Beschäftigungsverhältnisse“ abgeschlossen wurden, sind hiervon betroffen. Dies hat in der Folge bei vielen Projekten und natürlich auch bei vielen der Beschäftigten zu Irritationen und nicht selten auch zu Unzufriedenheit geführt.

In einem Fall wurde im Oktober letzten Jahres nun die Klage einer Zuverdienstbeschäftigten aus einem Projekt in Nürnberg vor dem Arbeitsgericht Nürnberg mit einem Urteil abgeschlossen (AZ: 16 Ca 7997/14 – verkündet am 15.10.2015).

Bei dem besagten Zuverdienstprojekt, das vom Bezirk Mittelfranken gefördert wird, erhielten die Zuverdienstbeschäftigten bis Ende 2014 einen Stundenlohn von etwa 3,- Euro im Rahmen von geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen. Die Mindestlohnregelung machte ab 2015 eine Änderung der Förderrichtlinien des Bezirks Mittelfranken und der Vertragsregelungen zwischen den Projekten und den Zuverdienstbeschäftigten notwendig.

Die bis Ende 2014 geltenden Arbeitsverträge wurden von dem Nürnberger Zuverdienstprojekt fristgerecht gekündigt und den Beschäftigten neue Verträge über die Teilnahme an einem betreuten Beschäftigungsverhältnis angeboten.

Von einer der Beschäftigten wurde Klage gegen diese Regelung erhoben, weil:

  1. das Konzept bzw. die Förderbedingungen des Bezirkes nicht in ihren bisherigen Arbeitsvertrag einbezogen gewesen seien und diese neue Regelung folglich keinen Einfluss auf ihr Beschäftigungsverhältnis haben könne.
  2. die Zustimmung des Integrationsamtes zu der Kündigung nicht eingeholt wurde.

Die Klage wurde vom Gericht mit folgender Argumentation als unbegründet abgewiesen:

Aus Sicht des Gerichts setzt eine erfolgreiche Kündigungsschutzklage das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses voraus. Die Beschäftigung im Rahmen des Zuverdienstprojektes wurde allerdings nicht als solches gewertet. Aufgrund seiner besonderen förderspezifischen Aufgaben wurde die Tätigkeit in dem Zuverdienstprojekt trotz eines Vertrages im Rahmen einer „geringfügigen Beschäftigung“ vielmehr mit der Beschäftigung in einer WfbM gleichgesetzt und insofern ein „arbeitnehmerähnliches Rechtsverhältnis“ bei der Beurteilung zu Grunde gelegt. Unter Berücksichtigung dieser Beurteilung war somit auch eine Zustimmung des Integrationsamtes zu der Kündigung nicht erforderlich.

Die Förderrichtlinien des Bezirkes Mittelfanken wurden bei Beurteilung des Sachverhaltes in besonderer Weise berücksichtigt. So war nach diesen Richtlinien der Abschluss der „geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse“ mit den Zuverdienstbeschäftigten eine Voraussetzung für eine Förderung des Projektes durch den Bezirk. Das damit verbundene Ziel war nach Einschätzung des Gerichtes allerdings ein reguläres Beschäftigungsverhältnis zu „simulieren und dadurch das Selbstbewußtsein und die Leistung des Beschäftigten zu fördern“.

Zitat aus dem Urteil:

Die von der Beklagten gewählte Bezeichnung des Vertrages als Arbeitsvertrag und der Klägerin als Arbeitnehmerin ist zwar normalerweise ein sehr starkes Indiz für das Vorliegen eines Arbeitsvertrages. Dies gilt allerdings im vorliegenden Fall nicht, da diese Bezeichnung vom Bezirk als Voraussetzung für die Förderfähigkeit verlangt wurde. Ziel war es, ein Arbeitsverhältnis so ähnlich wie möglich zu simulieren und dadurch das Selbstbewusstsein und die Leistung der beschäftigten Behinderten zu fördern, sie, wenn möglich sogar an den ersten Arbeitsmarkt wieder heranzuführen. Dies konnte, wie dem Schreiben vom 15.12.2014 zu entnehmen ist, im Einzelfall dazu führen, dass die Beschäftigten von einem Arbeitsverhältnis ausgingen. Diese Illusion konnte für eine Beschäftigungstherapie sogar nützlich sein, juristisch war die falsche Bezeichnung unschädlich, solange ein Entgelt vereinbar werden konnte, das der erbrachten Leistung entsprach. Da zum 01.01.2015 das Mindestlohngesetz in Kraft trat, war eine Klarstellung, dass es sich in Wirklichkeit bei den meisten Beschäftigten, sofern sie nicht besondere Leistung erbrachten, nur um ein arbeitnehmerähnliches Verhältnis handelte, unumgänglich. Einen Erlös aus den hergestellten Produkten, der den Stundenlohn von 8,50 € hätte decken können, hätte die Beklagte nie erwirtschaften können, somit wäre die Beschäftigung aller Behinderten bei ihr gefährdet gewesen.

Trotz des bestehenden Beschäftigungsverhältnisses und der im Arbeitsvertrag enthaltenen Bezeichnungen „Arbeitslohn“ und „Arbeitsverhältnis“ ist aus Sicht des Gerichtes aber kein reguläres Arbeitsverhältnis anzunehmen. Dieses läge erst dann vor, „wenn der  Kläger wie ein Arbeitnehmer auch in quantitativer Hinsicht wirtschaftlich verwertbare Leistungen erbringt, also der Hauptzweck seiner Beschäftigung das Erbringen wirtschaftlich verwertbarer Leistungen ist und nicht die Ermöglichung einer angemessenen Beschäftigung“.

Zitat aus dem Urteil:

Dass die Klägerin ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung erbringt, ist kein Kennzeichen für ein Arbeitsverhältnis, sondern eine Voraussetzung für die Förderung der Beklagten durch den Bezirk und wäre nach § 136 Abs. 2 Satz 1 SGB IX Aufnahmevoraussetzung für eine Aufnahme in eine Werkstatt für behinderte Menschen. Ein Arbeitsverhältnis liegt erst dann vor, wenn der Kläger wie ein Arbeitnehmer auch in quantitativer Hinsicht wirtschaftlich verwertbare Leistungen erbringt, also der Hauptzweck seiner Beschäftigung das Erbringen wirtschaftlich verwertbarer Leistungen ist und nicht die Ermöglichung einer angemessenen Beschäftigung (LAG Baden-Württemberg, a.a.O.).

Gegen die Annahme einer regulären Arbeitsleistung sprach aus Sicht des Gerichtes zudem der Bezug einer Rente wegen voller Erwerbsunfähigkeit durch die Klägerin.

Insgesamt schafft dieses Urteil zwar etwas mehr Rechtssicherheit in ähnlichen Fällen. An dem grundlegenden Problem, der weiterhin unsicheren rechtlichen Rahmenbedingungen der Zuverdienstprojekte, allerdings ändert sich dadurch nicht viel. Auch die arbeitsrechtliche Gleichstellung der im Zuverdienst Beschäftigten mit denjenigen einer WfbM (arbeitnehmerähnliches Rechtsverhältnis) allein genügt hier nicht. Zumal der Status „arbeitnehmerähnliches Rechtsverhältnis“ im Zusammenhang mit dem Inklusionsgedanken inzwischen von einigen Fachleuten insgesamt als kritisch und nicht mehr zeitgemäß angesehen wird.

Notwendig ist weiterhin eine sowohl sozial- als auch arbeitsrechtliche Einordnung des Teilhabeangebotes „Unterstützte Beschäftigung im Zuverdienst“ in das Sozial- und Arbeitsrecht, so wie sie von der bag-if und den maßgeblichen Sozialverbänden sowie dem Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge e. V. gefordert wird.